Der tote Winkel der Architektur: Wie Fotografien es schaffen, Gebäude lebendig zu machen
Die Architekturfotografie besitzt die einzigartige Fähigkeit, Bausubstanz zum Leben zu erwecken. Das passiert immer dann, wenn Bauwerke im Kontext der (Ab-)Nutzung fotografiert werden. Meist geschieht das, wenn Menschen mit Architektur in Berührung kommen. Während Architekten Gebäude in einem visuellen Vakuum kreieren (also vor der Nutzung), zeigt die Architekturfotografie die ge- und erlebte Realität der Bauten – oft zusammen mit ihren Protagonisten.
Die Architekturfotografie dokumentiert aber nicht nur die Abnutzungsspuren der Architektur selbst. Sie lässt den Betrachter auch detailliert nachvollziehen, in welcher Umwelt der Mensch lebt bzw. leben möchte und wie sich der Lebensraum durch Architektur verändert.
Eine futuristische Firmenzentrale (adidas) inmitten eines Dorfes in Bayern (Herzogenaurach), das überwiegend von Fachwerkhäusern geprägt ist.
Eine moderne Bauhaus-Villa in den kargen Hängen Portugals.
Ein schickes Design-Loft, das über einem maroden Hinterhof in Berlin thront.
Die Widersprüchlichkeit in allen genannten Beispielen wirkt nur dann schlüssig, wenn Architektur in den Zusammenhang mit Leben und damit in einen Nutzen-Kontext gesetzt wird. Architekturfotografie kristallisiert diesen Nutzen heraus, rückt ihn in den Vordergrund und definiert letztlich dadurch den Wert des Bauwerks.
Besonders deutlich wird dieses Alleinstellungsmerkmal, wenn man Architekturfotografie mit anderen Formen der Dokumentation von Veränderung vergleicht: Ein Diagramm, in dem die Effizienz eines minimalistisch-modernen Firmen-Neubaus veranschaulicht wird, sagt zwar etwas über die Praktikabilität und spätere räumliche Nutzung aus, braucht dafür aber viele Zahlen und Balken und produziert wenig Aufmerksamkeit. Eine Fotografie des fertigen Gebäudes, dem durch Menschen Leben eingehaucht wurde, reicht hingegen aus, um die gesamte Komplexität des architektonischen Konzepts anschaulich zu vermitteln.
Gleiches gilt für Bauzeichnungen, die ebenfalls dazu dienen, ein Bauwerk zu beschreiben. Doch die technische Dimension eines Bauplans hat wenig Wiedererkennungswert und löst höchstens beim Architekten oder Bauplaner Emotionen aus. Erst der durch Architekturfotografie etablierte Kontext lässt eine vielschichtige Auseinandersetzung mit Architektur zu.